T. Saalmann: Kunstpolitik der Berliner Museen 1919–1959

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Titel
Kunstpolitik der Berliner Museen 1919–1959.


Autor(en)
Saalmann, Timo
Reihe
Schriften zur Modernen Kunsthistoriographie 6
Erschienen
Berlin 2014: de Gruyter
Anzahl Seiten
VIII, 413 S., 21 Abb.
Preis
€ 79,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Stein, Leipzig

Die Attraktivität der Staatlichen Museen Berlin ist auch im 21. Jahrhundert ungebrochen. Jährlich strömen über drei Millionen Besucher in die Sammlungen der deutschen Hauptstadt, die nun im kulturellen Herzen mit dem Humboldt-Forum einen weiteren Superlativ in ihrer unvergleichbaren Museumsgeschichte setzen wird. Diese schier von Erfolg zu Erfolg jagende, aktuelle Entwicklung der Berliner Museumslandschaft beruht dabei nicht nur auf einer gewachsenen Vielfältigkeit an Kunstschätzen, sie wird und wurde zugleich maßgeblich bestimmt von Persönlichkeiten, die nur unscharf mit „Museumsleuten“ zu umschreiben sind. Das Handeln dieser Akteure untersucht Timo Saalmann in seiner 2010 an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena angenommen Dissertation für den Zeitraum von 1919 bis 1959. In Abweichung zu früheren Forschungen ist es der Anspruch Saalmanns, die Staatlichen Museen Berlin erstmals „als Akteur“ und nicht – wie bisher oft – „als Spielball der Politik“ fundiert in den Blick zu nehmen und dabei die unmittelbaren Einflüsse der „Museumsleute als eigenständige ästhetische Elite“ auf die „kunstpolitischen Diskurse“ und „kulturpolitischen Entscheidungen“ ihrer Epoche herauszustellen (S. 2).

Mit Rekurs auf Pierre Bourdieus Modell der „Museumskonservatoren“ und Hildegard Brenners Definition zur Kunstpolitik konkretisiert Saalmann den kulturpolitischen Aktionsraum, die öffentliche Funktion und gesellschaftliche Bedeutung seiner Protagonisten, wobei dem Personenkreis um den Generaldirektor und den jeweiligen Museumsdirektoren besondere und vor allem kritische Aufmerksamkeit geschenkt wird.1 Die Studie beansprucht außerdem, das „Postulat der zeithistorischen Forschung zur Historisierung des Nationalsozialismus“ zu erfüllen – zumindest in Bezug auf die Kunstpolitik der Berliner Museen (S. 4). Daher werden ausdrücklich die historischen Zäsuren im Hinblick auf kunstpolitische Maßnahmen und ästhetische Vorstellungen untersucht und im Kontext gesellschaftspolitischer Entwicklungen analysiert. Denn die historischen Einschnitte von 1918/1919, 1933 und 1945/1949 fanden ihren Widerhall auch im mehr und mehr politisierten Terrain der Berliner Museen.

Die Wahl des Untersuchungszeitraums erschließt sich aus der Fülle bereits vorhandener Forschungen zur Berliner Museumsgeschichte des langen 19. Jahrhunderts: Bisher existiert ein Fundament an (institutions)biografischen Arbeiten, die die Museumsgenese vornehmlich bis zum Ende des Deutschen Kaiserreiches nachzeichnen und/oder die mitunter, so Saalmann, zur Verklärung der Museumsdirektoren oder zu einer zaghaften Interpretation geführt hätten und deren Blickwinkel auf wenige, herausragende Persönlichkeiten eingegrenzt sei (S. 9, 13).

Der chronologische Überbau der drei quantitativ und inhaltlich ausgewogenen Hauptkapitel folgt den klassischen Epochengrenzen der jüngeren deutschen Geschichte: Das erste Hauptkapitel widmet sich der Entwicklung der Staatlichen Museen Berlin während der Weimarer Republik (S. 23–132). Thematisch umschließt es die von wechselvollen Ereignissen geprägten 15 Jahre demokratischer Ordnung, die sowohl die deutsche Gesellschaft mit dem wirkungsreichen Formwandel des kaiserzeitlich-traditionellen Systems konfrontierte, als auch für die museale Praxis Neuorientierung und fortschreitende Politisierung bedeutete. Doch die Kontinuität im Amt des Generaldirektors, das mit Wilhelm von Bode weiterhin der „Nestor“ der Berliner Museumswelt bekleidete, schien den Widerstreit der politischen Strukturen nur zart zu überdecken (S. 23–31, 47–56). So stand der museale „Richtungsstreit gleich zu Beginn der Republik“ stellvertretend für die anhaltende Konfrontation zwischen einer „linke[n] – sozialdemokratisch bis sozialistisch orientierte[n] – Gruppe [und] einer konservativen Fraktion“, die keinen Zugang fand zu volksbildnerischen Ansätzen der Reformbewegung (S. 36). Dass die Kritik an den Reformansätzen nicht immer gleichzusetzen war mit einer Ablehnung der nunmehr vom Staat präferierten, modernen Stile rekonstruiert Saalmann am prominenten Beispiel der Neuen Abteilung der Nationalgalerie, deren Aufbau Ludwig Justi mit expressionistischen Kunstwerken nach 1919 anstrebte und schließlich auch durch staatliche Protektion gegen traditionelle Ästhetikvorstellungen durchsetzten konnte. In diesem Zusammenhang relativiert Saalmann berechtigterweise die Lesart von Kristina Kratz-Kessemeier, weil deren „Kunst für die Republik“-These in ihrer „Eindeutigkeit“ für die Staatlichen Museen Berlin nicht gänzlich zutrifft, denn abgesehen von Justis Öffnung gegenüber dem Expressionismus „dominierten bei den Museumsdirektoren auch weiterhin traditionelle und konservative Sichtweisen“ (S. 47).2 Saalmann zeichnet präzise nach, dass die museumstheoretischen Kontroversen und ästhetischen Streitfragen der 1920er-Jahre (S. 55–66, 125–130) die künstlerische Ausrichtung der Berliner Museen stark berührten. So schlug sich auch fernab der publikumswirksamsten Abteilungen (S. 75–89) die differenzierte, kunst- bzw. kulturpolitische Genese nieder, die sowohl vom Widerspiel zwischen staatlicher Ministerialpolitik und quasi-autokratischer Museumsorganisation gekennzeichnet war als auch von persönlichen Empfindlichkeiten sowie von persönlichen Fehden um Ausrichtungen und Ziele der preußischen Museumspolitik (S. 101–114, 131f.).

Mit einem Rückblick auf Justis „Taktieren“ und auf die personelle Demontage des Generaldirektors sowie der Direktoren der National- und der Gemäldegalerie setzt das zweite Hauptkapitel ein (S. 133–157). Es analysiert die musealen Entwicklungen während des Nationalsozialismus. Zu den Leitthemen gehören die Überformung der Berliner Museen nach 1933 im nationalsozialistischen Sinn, die Grundsatzdiskussionen der neuen Machthaber zur (deutschen) Kunst sowie die kulturpolitischen Maßnahmen des Regimes mit Folgen für die Museumsabteilungen. Im Zusammenhang mit den politischen Entlassungen stellt Saalmann heraus, dass die „Tatsache der Entlassung“ nicht bedeute, dass „die Museumsmänner in unüberbrückbarem Gegensatz zur nationalsozialistischen Politik standen“ (S. 140). So hatte Justi noch vor seiner „inneren Emigration“ den Versuch unternommen, sein Amt gegen die drohende Entlassung zu verteidigen, und war daher zu Konzessionen bereit, die von ihm zuvor gegen Proteste und Widerstände aufgebaute Sammlung nach Vorgaben der Nationalsozialisten umzugestalten (S. 137f.). Mit dieser Darstellung nimmt Saalmann eine Korrektur zur bisher „ungebrochen positiven Wahrnehmung“ (S. 140) des Entlassungsopfers vor, doch betont Peter Betthausen bereits in seiner Biografie über den Berliner Museumsmacher dessen opportunistische Momente – so auch zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft.3 Auch wenn dieser Herrschaft ein festgeschriebenes Kunstprogramm fehlte, setzten die Machthaber dennoch ihre personellen und künstlerischen Vorstellungen zu „Nichtkunst“ und künstlerischer Ausrichtung im Sinne einer „germanischen“ Kunst durch. Hieraus ergaben sich für die unmittelbar betroffenen Direktoren der Berliner Museen grundsätzliche, jedoch kaum offizielle Vorgaben zur Museumsarbeit (S. 169–177). Folgt man der Argumentation Saalmanns, so assimilierten sich die Museumsmacher wegen „persönlicher Karriereanreize“ besonders in der Folgezeit der Aktion „Entartete Kunst“ ebenso wie „andere akademische Eliten im Nationalsozialismus“ (S. 176f.). Die Inhalte der nunmehr unter erweiterten Propagandaaufgaben stehenden Museumsarbeit (S. 182–196) orientierten sich an den geopolitischen Verbindungen sowie ideologischen Vorgaben des Deutschen Reiches und an „unverfänglichen“ Themen der deutschen Kunst wie der deutschen Renaissancemalerei um Albrecht Dürer.

Die inhaltliche Trias schließt mit der Untersuchung zu den Berliner Museen nach 1945 und den kunstpolitischen Folgen im geteilten Deutschland (S. 231–325). Die mit Kriegsende völlig ins Bewusstsein der Protagonisten tretende Zerstörung und der unwiederbringliche Verlust der vernichteten Kunstschätze stellte die Fortexistenz und einen möglichen Wiederaufbau der Museumsinsel schwer in Frage (S. 231–240). Den allseits herrschenden chaotischen Zuständen folgte der Versuch einer raschen Koordinierung des Berliner Museumsbetriebes. Hierbei wirkte das kunstpolitische Engagement der USA maßgeblich auf die „Neufindung eines [kulturellen] Selbstverständnisses“, das die „Kunstelite politisch und ästhetisch an den Westen“ band und zugleich den aufkeimenden Konflikt des Kalten Krieges andeutete (S. 242). Unter den Museumsdirektoren der Nachkriegszeit war es dann besonders Paul Ortwin Rave, der 1949 mit der zerstörerischen NS-Kunstpolitik abrechnete. In der Rolle des Opfers, zeichnete Rave nach der Darstellung Saalmanns jedoch einen „strikten Gegensatz von Museumsdirektoren und Nationalsozialismus“ nach, den es in dieser Form nicht gegeben habe (S. 258). Mit der Rehabilitierung der Kunst der Moderne versuchten die Akteure einen bewussten Kontrast zum Kunstverständnis der NS-Zeit zu setzen. Die Berufung Justis zum Generaldirektor der Berliner Museen wurde dabei zum symbolischen Akt einer „schnellen Demokratisierung der Berliner Kunstpolitik“ (S. 253). Über die Gründung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz 1957 (S. 303–320) hinaus bestimmten die Folgen der nationalsozialistischen Herrschaft das museale Tagesgeschäft Berlins. Doch gestaltete sich die Reorganisation des staatlichen Museumsbetriebes in Ost- und Westberlin divergent: In der SBZ/DDR verwaltete das Ministerium für Kultur ab 1951 die weiterhin als Staatliche Museen zu Berlin geführten Institutionen, womit die vormals preußischen Kunstsammlungen Ostberlins zügig in den zentralstaatlichen Apparat eingegliedert wurden (S. 269). Für die Bundesrepublik gestaltet sich der Umgang mit dem ehemaligen preußischen Kunstbesitz weitaus diffiziler, da sich bereits bei der Rückführung der Berliner Kunstschätze aus den sogenannten „Verlagerungsländern“ Hessen und Niedersachsen die „gegenläufigen Interessen des Bundes, der Länder und Berlin“ andeuteten (S. 271). Für die Rekonstruktion der Berliner Museumsgeschichte nach 1945 legt Saalmann den Schwerpunkt eindeutig auf die komplizierten Entwicklungen und Konflikte zwischen Bund und Ländern um den kulturellen Hoheitsbereich und die Gründung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (S. 303–320). Obschon die Interessenskonflikte im Umgang mit dem ehemaligen preußischen Kulturbesitz zwischen Bund und Ländern tiefe Einblick in die frührepublikanische Kulturpolitik geben (S. 270–303), so wird die Geschichte der Staatlichen Museen in Ostberlin nach 1945 von Saalmann nicht mit der gleichen Sorgfalt bedacht.

Timo Saalmann liefert mit seiner nunmehr veröffentlichten Dissertation eine stringente, detailreiche und gut lesbare Studie zur Berliner Kunst- und Museumspolitik von 1919–1959. Besonders für die Epoche des Nationalsozialismus gibt die nüchterne Argumentation Saalmanns fernab von Revisionen eine interessante, teilweise jedoch recht absolute Sicht auf die Museumsmacher Berlins, die über die politischen Epochengrenze das großstädtische Museumsleben – mitunter aktiv – gestalteten. Sucht man nach Monita, so bleibt zu kritisieren, dass der Blick auf das kunstinteressierte Publikum, die Besucher der Museen, nicht die Detailtiefe der anderen Beobachtungen erreicht. Dies mindert jedoch nicht den hohen wissenschaftlichen Ertrag der Arbeit Saalmanns.

Anmerkungen:
1 Vgl. Pierre Bourdieu, Die Museumskonservatoren, in: Luckmann, Thomas / Sprodel, Walter Michael (Hrsg.), Berufssoziologie. Köln 1972, S. 148–155; Hildegard Brenner, Die Kunstpolitik des Nationalsozialismus (Rowohlts deutsche Enzyklopädie, Bd. 167/168), Reinbek 1963. Außerdem Gottfried Korff, Museumsdinge. Deponieren – Exponieren, 2. Aufl., Köln 2007, S. 176.
2 Vgl. Kristina Kratz-Kessemeier, Kunst für die Republik. Die Kunstpolitik des preußischen Kultusministeriums 1918 bis 1932, Berlin 2008, S. 601–608.
3 Vgl. Peter Betthausen, Schule des Sehens. Ludwig Justi und die Nationalgalerie, Eine Biografie, Berlin 2010.

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